Pfingsten für die Zukunft
Katholische Pfarrgemeinde
Sankt Johannis der Evangelist
Freiberg / Sachsen
Kurzlesung der Vesper zu Pfingsten (Eph 4,3-6):
Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den
Frieden, der euch zusammenhält.
E i n Leib und e i n Geist, wie euch durch eure Berufung
auch e i n e gemeinsame Hoffnung gegeben ist;
e i n Herr, e i n Glaube, e i n e Taufe,
e i n Gott und Vater aller, der über allem und durch alles
und in allem ist.
Gedanken von Jürgen Bialek:
„Wir sind auf dem Weg in ein Zeitalter der radikalen Eigenverantwortung.“ - Könnte von mir stammen. Stammt es aber nicht. Dorie Clark, die als Beraterin u. a. für
Google und Microsoft tätig war und ist und deshalb gern als Karriere-Expertin bezeichnet wird, vertritt diese These. Es ist ein konsequent neo-liberaler Ansatz, der aber
mehr denn je, zumindest im säkularen und ökonomischen Umfeld eine Anhängerschaft hat. Durch eine genügend große Zahl von Umbrüchen, den Kriegen, die Pandemien
und Wellen werden die Menschen herausgefordert, in gefühltem Maß in einer Intensität, wie kaum je zuvor. Aber jede Zeit, jede Generation hatte mit Umbrüchen zu
kämpfen. Da sollten wir uns nicht für so besonders halten, so ihre Aussage.
Kann man diesen Ansatz nun auf die Kirche, auf den christlichen Glauben, auf uns als Pfarreien, Gemeinden, Gemeinschaften beziehen? Eigenverantwortung ist ja erstmal
nichts Schlechtes. Wenn wir, wenn jeder Christ, jeder Mensch in Verbindung mit Glauben und Kirche sich eigenverantwortlich in die Weiterentwicklung einbringt, kann es
doch nur positive Früchte bringen. Man kann es auch als Evangelisierung bezeichnen,
Am Pfingsttag 2022 konnten 18 Kinder der Ortsgemeinde Freiberg zum ersten Mal zum Tisch des Herrn treten; erhielten zum ersten Mal die Heilige Kommunion. Aufgabe
der Pfarrer war und ist die geistliche und katechetische Begleitung und Schulung der Kinder. Aber insbesondere das Wirken der jeweiligen Familien und der Eltern, und
zwar das gemeinsame Wirken, machte diesen Tag zu einem unvergesslichen Ereignis. Eigenverantwortlich wurde hier ein Rahmen geschaffen, in dem der Glaube
weitergegeben werden und Früchte tragen kann.
Also, alles gut? Können wir den Ansatz der radikalen Eigenverantwortung so auf unsere Gemeinschaft übertragen? Im Prinzip ja, wenn da nur nicht die Fortsetzung der
Aussage wäre: „Seien Sie die Art Mensch, die sich mehr für Fakten interessiert als für Ideologien.“, schreibt Frau Clark ihren Lesern ins Stammbuch. Da haben wir
sie nun, die unvermeidliche Fortsetzung des Gedankens in Richtung Selbst-Optimierung, Selbst-Verwirklichung, Selbst-Motivation. Alles getragen von dem Wahn, der
Mensch kann und muss alles selbst bestimmen.
So weit hergeholt ist aber auch dieser Aspekt in den aktuellen Diskussionen über Sinn des Glaubens und Zukunft der Kirchen gar nicht. Auf der einen Seite gibt es
Menschen, die auf den Zeitgeist insistieren und dies als die einzig richtige Reformbewegung auch für die katholische Kirche halten. Was machen eigentlich die Protestanten
und die Freikirchen, die, mit leicht veränderten Ausgangssituationen vor den gleichen Problemen stehen? Andere Menschen halten dies nun überhaupt nicht für einen
gangbaren Weg und deuten Re-Form vielmehr als eine notwendige Neu-Formation auf das hin, was von Jesus Christus kam und kommt. Das ist auch eine gewisse
Radikalität in der Eigenverantwortung.
Es kann keinen Erstkommunions-Jahrgang mit 30 … 40 Kindern in der gesamten Pfarrei geben, wenn nicht die Eltern und Familien eigenverantwortlich sich für
Christus entscheiden.
Es gibt keine Kinder- und Jugendpastoral in den Gemeinden, wenn wir nicht aus uns selbst heraus sagen, dass wir das möchten und uns in den Dienst stellen - in
der Einheit des Geistes.
Es gibt keine Rentnervormittage, wenn Sie diese nicht besuchen und eigenverantwortlich gestalten - in einem Geist.
Die Liturgie ist nicht für die Gläubigen da, wenn wir nicht aktiv an ihr teilnehmen und mit den Diensten der Lesungen oder der Musik bereichern und überhaupt erst
ermöglichen - für unseren Herrn und unseren Glauben.
Es wird keine Priester oder Ordensleute geben, wenn wir nicht inständig, eigenverantwortlich aber auch mit gemeinsamer Kraft dafür beten und den Herrn bitten.
Glaube trägt keine Frucht, wenn wir das Mystische in ihm aus dem Blick verlieren und nicht (mehr) eins sind.
Alles große Herausforderungen, die durch die widerstreitenden Geister in der Kirche auch nicht kleiner werden.
„Kirche, wie wir sie kennen, läuft nicht mehr. Es ist der Anfang eines Sterbeprozesses. Wir leben gerade am Ende des ersten Drittels dieses Prozesses. Die Zahl
der Kirchenaustritte wird weiter zunehmen. Die Bedingungen sind nicht mehr gegeben, unter denen Volkskirche entstand und funktionierte. Dieses Modell ist
nicht zukunftsfähig.“
Wir ahnen diese Erkenntnis und doch macht sie uns Angst. Es ist ein Zitat aus einem Artikel von Alexander Garth, Pfarrer an der Evangelischen Stadtkirche der Lutherstadt
Wittenberg. Ich bezeichne ihn als den katholischsten protestantischen Pfarrer, den ich kenne. Aber er bleibt nicht bei dieser Erkenntnis stehen. In seinem Buch:
„Untergehen oder Umkehren – Warum der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat“ zeigt er ganz klar auf: Christentum verschwindet nicht, allen
Unkenrufen von Neu-Atheisten zum Trotz. Religion boomt, besonders das Christentum, ist seine ganz klare Erkenntnis, auch wenn diese Aussage (derzeit) nicht auf
Europa zutrifft. Der Schwerpunkt verlagert sich, geografisch, aber auch inhaltlich.
Ein weiteres Zitat: „Ich sehe in dem Niedergang des Systems Volkskirche, der sicher ein schmerzhafter Prozess ist, die enorme Chance, dass Kirche wieder das
werden kann, wozu sie berufen ist: eine Kontrastgesellschaft zur Bürgergesellschaft, ein göttlicher Gegenentwurf zur Welt, eine Einladung Christi, Gottes
Alternative zu leben.“
„Warum Jesus? Warum diese Gemeinde?“ sind zentrale Fragen, denen wir uns stellen müssen.
Und in seiner Schlussfolgerung greift er auf eine im Jahr 1969 gesendete Radioansprache eines jungen Theologen namens
Joseph Ratzinger zurück, über die Zukunft der Kirche:
„Aus der Krise von heute wird… eine Kirche von morgen hervor gehen, die viel verloren hat. Sie wird kleiner werden,
weithin ganz von vorne anfangen müssen. (…) Aus einer verinnerlichten und vereinfachten Kirche wird eine große
Kraft strömen. Denn die Menschen einer ganz und gar geplanten Welt werden unsagbar einsam sein. Sie werden, wenn
ihnen Gott ganz entschwunden ist, ihre volle, schreckliche Armut erfahren (…) Aber ich bin auch ganz sicher darüber,
was am Ende bleiben wird: Nicht die Kirche des politischen Kultes, sondern die Kirche des Glaubens. Sie wird wohl nie
mehr in dem Maß die gesellschaftsbeherrschende Kraft sein, wie sie es bis vor kurzem war. Aber sie wird von neuem
blühen und den Menschen als Heimat sichtbar werden, die ihnen Leben gibt und Hoffnung über den Tod hinaus.“
Abbildungen mit Adobe Stock © pronoia; Biewer_Jürgen